Die Anfänge und die Gründerzeit

Blog Post Date: Montag 15 November 2021

Die Herren Kreisdirektoren waren verstimmt. Das Bakteriologische Institut Halle, zuständig für die Bekämpfung von Tierseuchen, hatte die Gebühren erhöht. In Anhalt war man aber abhängig von dessen Expertise, denn jetzt, ein paar Jahre nach dem ersten Weltkrieg, grassierten Tierseuchen. Also griffen die Kreisdirektoren einen Vorschlag des Landestierarztes Dr. Friedrich Richter auf und gründeten am 1. Juli 1921 das „Bakteriologisch Institut der Anhaltischen Kreise“. Was sich daraus entwickeln sollte, konnten sie nicht vorhersehen: Im Laufe von 100 Jahren entstand daraus die IDT Biologika, ein global agierender Pharmahersteller und mit 1.600 Beschäftigten der größte Arbeitgeber in Dessau-Roßlau.

  • Dr. med. vet. Karl Ludwig Wolters

    Die Anfänge waren bescheiden. Als das Institut in das Gebäude am Dessauer Neumarkt 5 (heute Johannisstraße) einzog, verfügte es über drei Mitarbeiter: Einen Tierarzt, eine Laborantin, eine Hilfskraft. Obwohl eine staatliche Einrichtung, musste das Institut sich weitgehend selbst finanzieren. Das Institut war also aus heutiger Sicht als Start-up konzipiert. Zunächst kümmerte sich das Bakteriologische Institut um eine Seuche: TBC – die Lungentuberkulose. Ein Tierseucheninstitut zuständig für TBC? Nicht von ungefähr. TBC wird nicht nur Menschen gefährlich, sondern ebenfalls Tieren, vor allem Rindern.

    Das erste Institutsgebäude am Neumarkt 5 in Dessau (heute Johannisstraße, etwa 1921)

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts hatte sich Dessau von einer Residenzstadt zu einer pulsierenden Industriemetropole entwickelt. Beispielsweise die 1855 gegründete „Deutsche Continental Gasgesellschaft“ war zu einem deutschlandweit operierenden Konzern geworden. Es entstanden chemische Fabriken, Maschinenbauunternehmen, Großbrauereien. Und der spätere Flugpionier Hugo Junkers hatte hier den Grundstein zu seiner ersten Firma gelegt. Die Dynamik der Stadt übertrug sich auf das Bakteriologische Institut. 1924 wurde ihm der Status eines staatlichen Veterinäruntersuchungsamtes zugewiesen – fortan kümmerte es sich um Tierseuchen wie Milzbrand, Schweine- oder Geflügelpest. Im Jahr zuvor hatte der Landestierarzt Dr. Karl Ludwig Wolters die Leitung des Instituts übernommen, das er über Jahrzehnte prägen sollte.

Unter Wolters begann die Impfstoff- und Serumproduktion – im Labormaßstab. 1923 erzeugte man 240 Milliliter eines Serums gegen Kälberruhr, was für gerade 16 Tiere reichte. Dazu kamen zweieinhalb Liter eines Brucellose-Impfstoffs und zwei Liter Bakterienkultur zur Bekämpfung von Ratten und Mäusen – mehr war am Gründungssitz nicht zu leisten. Im April 1924 zog das Institut in einen Neubau westlich des Hauptbahnhofs. Dort, auf beinahe freiem Felde, entstand ein neuer Stadtteil. Wenige hundert Meter entfernt wurde im September 1925 der Grundstein für das Bauhaus Dessau gelegt. Und auch wenn es zwischen beiden Institutionen keine Berührungspunkte gab, verfügte Dessau bis zur von den Nazis forcierten Schließung des Bauhauses über einen Forschungs- und Hochschulcampus.

Am 21. April 1925 kaufte das Bakteriologische Institut der Anhaltischen Kreise in Dessau
ein neugebautes Grundstück am Herzogin-Marie-Platz im Westen der Stadt

Die reguläre Produktion von Seren erfolgte jedoch vor den Toren der Stadt. Das Bakteriologische Institut erwarb das Gestüt Luisium und schaffte fünf Pferde an. In einem heute noch üblichen Verfahren wurden diese mit Krankheitserregern infiziert, gegen die die Pferde selbst immun waren und Antikörper bildeten. Den Tieren wurde regelmäßig Blut abgenommen, aus dem Serum gewonnen wurde.

Eine Impfstoffproduktion vor Ort erwies sich immer mehr als wichtig. Bei einem Ausbruch von Rotlauf bei Schweinen schlugen lokale Tierärzte Alarm, weil auf dem Markt kaum Serum zu beschaffen war. Sie drangen darauf, es in Dessau selbst herzustellen. Dem Bakteriologischen Institut kam das zupass. Es verdiente zwar Geld mit Untersuchungen und Analysen bis hin zu rechtsmedizinischen Gutachten. Das reichte jedoch nicht, den Neubau-Kredit zu bedienen – das Institut, man erinnere sich, erhielt kaum staatliche Zuschüsse. Die Seren aus dem Luisium brachten nicht nur dafür das Geld. Sie sollten wesentlich die Forschung finanzieren, um Impfstoffe in großer Menge in verlässlicher Qualität herstellen zu können. Nirgends in Deutschland fand sich eine Einrichtung auf Landesebene, die so viele Aufgaben bündelte, was sich 1927 in der Umbenennung in „Hygienisches Institut Anhalt-Dessau“ niederschlug. Aus rechtlichen Gründen wurde die Serumproduktion im Luisium in die Serum-Institut GmbH Dessau umgewandelt.

Die Erweiterungsbauten des Hygienischen Instituts Anhalt in Dessau (ASID) im Jahr 1938.

1933 wurde das Institut über den Umweg einer Stiftung direkt dem Anhaltischen Staatsminister Alfred Freyberg unterstellt. Wolters blieb Geschäftsführer. Hatte das Institut sich in der Humanmedizin zuvor auf Untersuchungen beschränkt, änderte sich das 1935. Unter maßgelblicher Beteiligung der medizinisch-technischen Assistentin Johanna Dehmel wurde ein Impfstoff gegen Diphtherie beim Menschen entwickelt, was ihr 1960 die Ehrendoktorwürde der Berliner Humboldt-Uni eintrug. Vakzinen gegen Cholera und Keuchhusten folgten.

Auch wenn 1939 die Verwaltung der nunmehrigen „Anhaltisches Serum-Institut GmbH“ (ASID) nach Berlin verlegt wurde, blieb Dessau ein Zentrum der Forschung und Produktion. Das Hauptgebäude wurde erweitert und im heute zu Dessau-Roßlau gehörenden Tornau eine Domäne erworben, auf der hunderte Serumtiere gehalten werden konnten. 1940 wurde schließlich auf Kriegswirtschaft umgeschaltet. Wegen der Ausbrüche von Fleckfieber und anderer Seuchen wurden mehr und mehr Impfstoffe geordert. Während es in Dessau noch gelang, weitere neue Humanimpfstoffe zu entwickeln, rückte der Krieg immer näher. Am 7. März 1945 wurde das Institutsgebäude in Dessau bei einem anglo-amerikanischen Bombenangriff, wie 85 Prozent der Innenstadt, weitgehend zerstört. Doch bereits Ende Mai erlaubte die amerikanische Militärverwaltung der ASID den Neustart. Dieser sollte sich als herausfordernd erweisen.